Die Stunden sind zu Tagen, die Tage zu Wochen und die Wochen zu Monaten verflossen. Ich hatte über dem endlos scheinenden Meer aus Sand jegliches Zeitgefühl verloren. Nur nachts konnte ich am Verlauf der Sterne erkennen, dass bereits einige Monate vergangen sind, seit mich die Männer aus meinem Dorf weggeholt hatten. Je näher wir unserem Ziel kommen, desto banger wird mir ums Herz, desto flauer mein Magen. Was erwartet mich in Marib? Was haben die Männer mit mir vor? Natürlich hatte ich Jona berets gefragt. Doch seine Antworten sind stets ausweichend und vage geblieben. Nun, es wird sich zeigen.
Zypresse
„Das ist die Botschaft der Zypresse: lass los und lass es fließen“. Die Zypresse, das ist die Pflanze für Übergänge, wenn du etwas oder jemanden nicht loslassen kannst, dann rufe die Zypresse zur Hilfe. Denn starr an etwas Altem festzuhalten, den Fluss des Lebens aufhalten zu wollen, das wird dich früher oder später nur verletzen.“ Ja, meine Mutter war wahrlich eine weise Frau. Ich lächle leicht und ein warmes, liebevolles Gefühl flutet mein Herz. Ich nehme einen kleinen Tropfen der kostbaren Zypressenessenz, welche ich bei mir trage, verreibe ihn in meinen Händen und nehme einige tiefe Atemzüge. Die Zypresse erdet und schenkt mir ein Gefühl der Sicherheit. Ich spüre, wie ein Teil der Anspannung, welche die letzten Tage beinahe übergroß geworden war, langsam von mir weicht.
„Ich bin immer während,
Ich ziehe zusammen,
ich löse auf, lasse fließen und lasse gehen.“
Zypresse
Plötzlich dringen von vorne aufgeregte Rufe an mein Ohr. Der vordere Teil der Karawane ist bereits hinter eine Düne verschwunden – doch die aufgeregten Rufe kann ich bis zu mir hören. „Was wohl los ist?“ frage ich mich. Und als Enes, mein treues Kamel, ebenfalls um die nächste Düne biegt, verstehe ich plötzlich. Mein Herz schlägt bis zum Hals, sämtliche Kraft scheint aus meinem Körper zu entweichen und ich bin gerade einfach nur froh, auf Enes starkem Rücken zu sitzen und nicht selbst zu laufen, denn dann hätten meine Beine jetzt bestimmt nachgegeben und ich wäre vermutlich kraftlos in den Sand gesunken. Vor meinen Augen entfaltet sich – was kann es anderes sein?
Marib, die Hauptstadt, die Stadt der Königin von Seba. Zypressen wiegen sich in einer leichten Prise, Dattelpalmen, Weihrauch, Myrrhe, Zistus, und Cassiabäume verleihen dem Ort eine betörende Schönheit. Überall wachsen Blumen, die Luft ist geschwängert mit betörenden Düften und die Häuser sind von atemberaubender Schönheit. So etwas hätte ich mir nicht in meinen kühnsten Träumen vorstellen können. Ich bin sprachlos, unfähig, mich zu bewegen oder gar auch nur einen Fluchtversuch zu unternehmen.
Die Soldaten der Königin begrüßen uns am Tor und begleiten uns durch die vielen, verwirrenden Straßen zum Palast. Während die Männer die Kamele abladen und mit den Pferden in die Stallungen bringen, sitze ich einfach nur da, mein Bündel mit den kostbaren Ölen und der wenigen Kleidung, die ich selbst besitze, fest an mich gedrückt.
Kassia
Es dauert eine Weile, bis ich den Baum, an dem ich lehne, an dem Duft seiner Blüten erkenne. Kassia. Kassia ist eines der kostbarsten Öle in meiner Zeit. Die Menschen verwenden es, um sich zu stärken, speziell vor und während langer Reisen und wenn das Fiber um sich greift oder jemand von einer Schlage gebissen wurde, wird Kassia gerne mit einigen anderen Ölen verwendet, um das innere Feuer zu entzünden, sodass das Gift und der Dschinn, der die Krankheit verbreitet, keine Chance haben und wieder gehen müssen.
Doch an einem Ort wie diesem kann das nicht der Grund sein, warum hier so viele Kassiabäume stehen und die Luft mit Kassia geschwängert zu sein scheint. Nein – Kassia entzündet nicht nur das innere Feuer, welches Gesundheit und Balance wiederherstellt, sondern auch jenes, welches die Leidenschaft entflammt. Noch nicht allzu lange her hatte ich meine Mutter ertappt, wie sie einem Mann geraten hatte: „Achte darauf, dass du, wenn sie die Kinder ins Bett bringt, dich wäschst und dich mit der süßen Myrrhe, dem Öl der Zistrose salbst. Füge etwas Kassia hinzu, um ihre Leidenschaft zu entfachen – du wirst sehen, alles wird gut werden.“ Ich hatte damals nicht allzu viel über dieses Gespräch nachgedacht. Doch nun wird mir plötzlich bewusst, um was es in diesem Gespräch wohl ging.
Etwas später, als alle Kamele versorgt und die Waren verstaut sind, holen einige Soldaten der Königin mich und Shutran ab. Ich fühle mich etwas erleichtert, als ich merke, dass Jona uns ebenfalls folgt. Auf dieser langen, gefährlichen Reise unter lauter fremden, furchteinflößenden Männern ist er mir wie ein Bruder geworden. Wir gehen also, umgeben von Soldaten, in den Palast hinein und über den Innenhof zu den Gärten der Königin. Unser Weg ist gesäumt von sanften, verspielten Wasserfällen, betörenden Blumen, exotischen Bäumen, Sträuchern und eleganten Statuen von unbeschreiblicher Schönheit.
Zeder
Plötzlich treten wir hinaus ins Freie. Ein großer Garten erstreckt sich vor uns mit großen Bäumen. Zedern?! Ich kann meiner Nase kaum trauen. Schon so lange träume ich davon, diese besonderen Bäume kennenzulernen, zu berühren, mit ihnen zu kommunizieren. Ich bleibe unvermittelt stehen und noch bevor mich einer der Soldaten daran hindern kann, bin ich mit ein paar schnellen Schritten bei einer dieser mächtigen, majestätischen Bäume. Ehrfurchtsvoll, beinahe etwas schüchtern lege ich behutsam meine rechte Hand an den rauen Stamm und lehne meine Stirn dagegen. Mit ein paar tiefen Atemzügen nehme ich den Duft der Zeder in mir auf. Ich fühle, wie ich mich innerlich aufrichte, meine Furcht, meine Angst vor der Zukunft und vor dem, was mich hier erwartet verschwinden plötzlich. Ich werde erfüllt von einem wunderbaren Gefühl der Ruhe, Stärke und majestätischem Frieden.
„Ich erde, ich schütze, ich stille.
Ich fokussiere und bringe auf den Punkt.“
Zeder
Alle diese drei Öle wurden in alten Zeiten für Kraft/Stärke, Segen und Weihen verwendet. In der heutigen Zeit werden diese vier Öle gerne dazu verwendet, um eine aromatische Sphäre zu kreieren, welche starke, stabile Beziehungen inspiriert, Dankbarkeit vertieft und die Wahrnehmung der äußeren Welt schärft.